Interview: Siegmar Fricke – Pharmakustik

Beat / Was ist dir bei der Klangerzeugung besonders wichtig? Ist das, um im Bild zu bleiben, eher ein chirurgisches Sezieren, um zum nackten Knochen vorzustoßen oder plastische Chirurgie zur ästhetischen Verfeinerung und Ergänzung?

Siegmar Fricke / Für mich ist es sehr wichtig, bei der Klangerzeugung keine unbearbeiteten Preset-Sounds zu verwenden. Wenn ich bestimmte Klänge in den Synthesizern als Basismaterial auswähle, müssen diese von vornherein schon durch diverse Wellenformen und Parameter verändert worden sein. Ich habe zum Beispiel im Stück „Chemsynaps“ eine ambiente Fläche des Korg Poly-61 als horizontale Basis benutzt, welche sich kontinuierlich durch Oszillator und Filter in der Tonhöhe auf und ab bewegt, wodurch ein sehr hypnotisches und paralysierendes Muster erzeugt wird. Diese Klangwelle wurde dann mit körniger Rhythmik aus dem Korg Electribe und dem Alesis ModFX Bitrman in Beziehung gesetzt. Die internen Effektparameter in den Geräten sind tatsächlich eine Art ästhetische Verfeinerung des Klangs und gewährleisten die nötige Eigenständigkeit der Sounds. Neurochemie wirkt mit den zahlreichen durchgearbeiteten Effekten insgesamt wie eine akustische Frischzellenkur.

Beat / Du legst gemäß dieser Frischzellenkur großen Wert darauf, keine Melodien oder Harmonien im traditionellen Sinn zu verwenden. Warum?

Siegmar Fricke / Ja, ich habe von Anfang an stets versucht, alles über Bord zu werfen, was mich in meiner musikalischen Freiheit und Kreativität einengt: Notenlehre, Melodik, Harmonie, Songstrukturen, konventionelle Arrangements. Ich habe Songstrukturen immer als einen engen Holzrahmen empfunden, der die musikalische Kreativität einschnürt. Mitte der Achtzigerjahre hatte ich Kontakt zu Conrad Schnitzler, der damals noch in Berlin lebte und bereits 1969/70 die Formation Kluster zusammen mit Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius gründete. Er ist ein Wegbereiter der freien elektronischen Musik, und seine Faszination für Maschinenklänge entstand aus seinen zahlreichen Erfahrungen, die er als ehemaliger Maschinist gemacht hatte. Von ihm habe ich eine Menge gelernt, was innovative Musik angeht. Tatsächlich beginnt das wahre Klanguniversum erst jenseits aller konventionellen Eingrenzungen und traditionellen Denkmuster.

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