Interview: Ergo Phizmiz über „The Faust Cycle“

Pläne und Techniken

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Beat / Wie genau hattest du vor Arbeitsbeginn einen Plan des Albums herausgearbeitet?

Ergo / Ich wusste grob, was ich erforschen wollte. In gewisser Hinsicht ist das gesamte Werk eine Analogie auf das kreative Gehirn. Es hat sich mit einer Art surrealem Bewusstsein entwickelt. Ich war daran interessiert, all die verschiedenen Techniken des Radios zu verwenden, zunächst die offensichtlichen Elemente des Dialogs, der Collage, der musikalischen Komposition und des Sounddesigns – aber auch weniger Fassbares wie Raum, Dichte, Suggestion und Querverweise.

Es war merkwürdig, an „The Faust Cycle“ zu arbeiten. Manchmal fühlte es sich so an, als wisse ich genau, was ich gerade tat. Und dann war ich wiederum total verloren und mir standen die Haare zu Berge. Der Prozess wurde zu einer Kollaboration mit dem Stück selbst: Es entwickelte sich nicht linear, sondern durch Autosuggestion. Ein anderes Element, das ich unbedingt erforschen wollte, war die Vorstellung eines Dramas ohne jeglichen Sinn für Realismus. Dabei verwandeln sich reale Charaktere in Platzhalter von Charakteren und sind keine glaubwürdigen Persönlichkeiten mehr – wie in einem Cartoon. Wenn ich darüber nachdenke, ist „The Faust Cycle“ sowieso ein einziger großer, klanggewordener Cartoon.

Beat / Gab es Moment, in dem du dachtest, dass du die Arbeit nicht zu Ende bringen könntest?

Ergo / Ich will ja nicht wie einer von diesen sich selbst bemitleidenden, idiotischen Musikern klingen, die sich immer darüber beschweren, wie schwierig es sei, ein Künstler zu sein. Aber die Wahrheit ist, dass ich tatsächlich durch die Arbeit an diesem Werk sehr krank wurde, sowohl körperlich als auch mental. Die letzte Sitzung, um die Geschichte zu einem Ende zu bringen, war allein zwanzig Stunden lang und beinhaltete den Konsum von zwei kompletten Flaschen Whisky. Es war ein Moment schierer Verzweiflung, eine Versuch, die ganze Sache endlich vom Tisch zu bekommen, weil ich sie einfach nicht mehr ertragen konnte. Doktor Faust versuchte, mich umzubringen!

Beat / Ist der Zyklus denn jetzt für dich „fertig“?

Ergo / Er ist in mehr als einer Hinsicht „endgültig unvollendet“, wie Marcel Duchamp sich einmal in Bezug auf sein „großes Glas“ ausdrückte (ein Werk, an dem der französische Künstler acht Jahre lang arbeitete. Es zerbrach beim Rücktransport nach einer Ausstellung, Red.). Es war schlicht unmöglich, das Werk zu einer wirklichen Auflösung oder Schlussfolgerung zu bringen. Es wurde zu groß, wie eine Leinwand, die immer weiter wächst und wächst, bis ich die Ränder nicht mehr erreichen konnte. Vor drei oder vier Jahren wollte ich wirklich unbedingt an solchen großen „Leinwänden“ wie dieser arbeiten. Heute mache ich sehr kurze und kleine Stücke.

Beat / Du hast ja währenddessen auch noch an anderen Projekten gearbeitet. Wie behält man da den Überblick?

Ergo / Ich verwende einen Notizblock und viele Papierfetzen, die ich überall an den Wänden meines übrigens gerade eiskalten Studios anbringe. Aber es stimmt, in den drei Jahren, die die Produktion des Zyklus gedauert hat, war ich mit vielen, vielen anderen Projekten beschäftigt. Hauptsächlich war das eine Notwendigkeit – ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Kommissionen für das Radio, Installationen sowie das Theater und kann es mir nicht leisten, mich ausschließlich auf ein einziges Projekt zu konzentrieren. Der Vorteil dabei ist aber, dass sich die verschiedenen Projekte gegenseitig befruchten und es zwischen ihnen viele Verbindungen gibt, die gleichen musikalischen Themen und strukturellen Ideen in sehr gegensätzlichen Werken auftauchen. Ich bin quasi eine Avantgarde-Hure: Ich setze meine Fähigkeiten ein, um meine Rechnungen zu bezahlen.

Beat / Warum waren gerade Oper und Hörspiele so inspirierend für „The Faust Cycle“?

Ergo / Das Radio ist für mich schlichtweg das Medium, in dem ich die meisten Möglichkeiten für das, was ich tue, entdeckt habe – sowohl in kreativer als auch kommerzieller Hinsicht. Ich bin von der Vorstellung besessen, Bilder in Klang zu verwandeln und das Unmögliche heraufzubeschwören. Die Oper ist eine andere Leidenschaft – die meisten Stücke, die ich in diesem Jahr schreiben werde, finden im Theater oder der Oper statt. Ich war in meinen Jahren als Teenager eines dieser grotesken und ekelerregenden Wunderkinder und schrieb zwischen meinem zwölften und sechzehnten Lebensjahr insgesamt dreizehn Opern. Ich glaube, sie sind aber alle verloren gegangen – ich habe ein Talent dafür, Sachen zu verlieren. Ich habe aber noch einige amüsante Ausschnitte aus der Presse, in denen ich als fetter kleiner Teenager zu sehen bin.

Beat / Nicht viele Musikliebhaber werden sich ein fünfzehn Stunden langes Werk von Anfang bis Ende antun. Wie wichtig sind für dich Fragen der Hörbarkeit?

Ergo / Sie sind mir sogar sehr wichtig. Es gibt da einen sehr bewussten Einsatz von Raum in dem Stück. Ich wollte nicht fünfzehn Stunden lang ununterbrochen Dialoge bringen. Mir gefällt die Vorstellung, dass man es ein- und ausschalten kann. Es ist auf eine sehr klassische Weise wie das Radio, denn man kann es im Hintergrund laufenlassen oder es auch ganz bewusst allein oder mit anderen zusammen genießen. Ich möchte durchaus, dass die Leute mein Werk hören und es ihnen gefällt. Es ist merkwürdig, für wie unzugänglich viele Menschen meine Musik halten, wohingegen ich sie recht leicht und luftig finde – insbesondere meine Songs und meine Instrumentalmusik. Andererseits kann ich schon verstehen, warum manche den „Faust Cycle“ als schwierig einstufen. Das ist er aber nicht: Es ist ein langes Werk, aber wir leben im Zeitalter des Media-on-Demand, also ist die Dauer kein wirkliches Problem. Was mir daran gefällt, ist, dass Zuhörer sich ihre Hörerfahrung personalisieren können: Du kannst jetzt eine Stunde des Stücks hören und dann später wieder ein bisschen. Oder konsumiere alles auf einmal! Ich selbst habe mir den Zyklus übrigens nie am Stück angehört – ich habe zwei Kinder, das wäre komplett unmöglich!

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