Die Schrift, die in der Mitte der Schriftenlandschaft steht

35 Jahre Frutiger

Im Jahr 1985 zettelten die Firmen Apple, Adobe, Aldus und Linotype mit dem Desktop Publishing eine der größten Revolutionen seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks an.Während Adobe die Seitenbeschreibungssprache PostScript und Aldus mit Page Maker das erste Layout-Programm vorstellte, trug Apple mit dem Macintosh einen grafikorientierten Computer und mit dem LaserWriter einen PostScript-fähigen Drucker bei.

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Demokratisierung der Schriften

Bereits am 24. Januar 1984 wurde der Apple Macintosh weltweit vorgestellt und mit zahlreichen gratis mitgelieferten PostScript-Fonts bestückt: Times, Palatino, New Century Schoolbook, Helvetica, Helvetica Narrow, Avant Garde, Garamond Condensed, Bookman, Optima, Courier, Zapf Dingbats. Weitere Fonts wie New York, Monaco, Chicago gaben dem Anwender völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand. Im professionellen Bereich ließ sich damit zwar wenig anfangen, doch der Mac „demokratisierte“ mit den lizenzfreien Fonts den Gebrauch von Schriften. Was andererseits natürlich auch dazu führte, dass der Wert einer Schrift, bedingt durch den aufwändigen Fertigungsprozess, kaum noch erkannt bzw. honoriert wird. Da wird kopiert, weitergegeben und so manche Schriften-CD ausgetauscht.

Eine neue Ära

Desktop Publishing und „What you see is what you get“ (WYSIWYG) beginnt die neue Ära des Digitalsatzes. Hatten vorhergehende Satztechnologien – vom Handsatz über den maschinellen Bleisatz, den Fotosatz und den Zwischenschritten OCR- und Lasersatz – noch mit Schriftzeichen in drei- bzw. zweidimensionaler Form gearbeitet, so liegen die Schriften jetzt nur noch digital vor. Die „Druckerei auf dem Schreibtisch“ komplettierte dann Linotype mit dem PostScript RIP (Raster Image Processor), der die von der Seitenbeschreibungssprache übertragenen Codes für den hochauflösenden, ebenfalls von Linotype stammenden Laserbelichter umwandelt.

Apple führte mit dem LaserWriter das neue Schriftformat PostScript ein. Anstatt nur die Bildschirminhalte zum Drucken zu übergeben, gab der Mac nun in der Programmiersprache PostScript geschriebene Dateien an den Drucker weiter, wo sie mit einer 300 dpi-Lösung neu aufgebaut wurden.

Ein Klassiker nimmt Gestalt an

Im Lauf der Zeit kristallisierten sich für den Digitalsatz wahre Schriftklassiker heraus. Darunter die Frutiger des Schweizer Schriftgestalters Adrian Frutiger. Hinter der Helvetica und der Garamond belegt die Frutiger in einem kürzlich vom Schriftenvertrieb Font Shop aufgestellten Ranking der „100 besten Schriften“ den dritten Rang. Die im Jahr 1975 entworfene Schrift – sie feiert damit in diesem Jahr ihr 35-jähriges Bestehen – ist keine vollständig neu konzipierte Schrift, denn Adrian Frutiger nahm bei der Gestaltung der Frutiger Anleihen bei seiner zuvor ausschließlich für die Beschriftung des Flughafens Roissy-Charles-de-Gaulle entwickelten Signalschrift Roissy.

Eine Signalschrift muss besondere Anforderungen hinsichtlich der Lesbarkeit erfüllen. Jeder einzelne Buchstabe muss schnell – auch aus der Entfernung – erkannt werden. „Die geschriebenen Hinweise bestehen zum größten Teil aus Einzelwörtern oder Wortgebilden, selten aus ganzen Sätzen. Man könnte hieraus leicht den Schluss ziehen, dass die Beschriftung nicht ‚gelesen‘, das heißt als ganze Wortbilder vom Auge aufgefasst […], sondern ‚buchstabiert‘ werde. […] Zu diesem Zweck waren die Großbuchstaben geeignet, da sich jeder Buchstabe in seiner individuellen Form vom anderen differenziert.“ So Adrian Frutiger 1977 in den Typographischen Monatsblättern.

Obwohl Signalschrift und Druckschrift also zwei völlig verschiedene Welten darstellen, greift Adrian Frutiger auf die Roissy zurück, als es darum geht, die Frutiger zu entwickeln. Erstmals erschien die hervorragend lesbare und von Beginn an als Fotosatzschrift konzipierte Frutiger im Jahr 1976 bei Linotype; eine Groteskschrift mit stark sachlichem Charakter. Und das, obwohl eine Grotesk-Schrift nicht unbedingt zum Lesen langer Texte einlädt. Ohne Serifen gezeichnete Grotesk-Schriften entstanden erstmals um 1832 in England als plakative Anzeigenschrift. Mit der vom Bauhaus-Künstler Paul Renner gezeichneten Futura begann im 20. Jahrhundert die Blütezeit der serifenlosen Schriften. Eine weitere erfolgreiche Grotesk-Schrift entwickelte der Schriftentwerfer Max Miedinger 1960 mit der Helvetica.

Am Anfang steht die Reinzeichnung

Unabhängig von Setz- oder Druckverfahren beginnt die Geburt einer jeden neuen Schrift mit der Originalzeichnung. Um die Roissy als Druckschrift zu realisieren, waren zunächst neue Reinzeichnungen der Schrift nötig. An dieser Vorgehensweise hat sich seit dem Handsatz nichts geändert. Die Grundlage bleiben großformatige Reinzeichnungen der einzelnen Buchstaben von A bis Z, die dann zur Kontrolle auf Textgröße verkleinert werden. Heutzutage werden allerdings die Zeichnungen digitalisiert und in Pfade umgewandelt, um sie skalieren zu können.

Adrian Frutiger, der sowohl für den Bleisatz als auch für Computer lesbare Schriften entworfen hat, beginnt einen Schriftentwurf mit dem kleinen n. „Mit dem ersten Strich lege ich die Höhe und die Fette fest, mit dem zweiten Strich die Weite, damit ist die Grundlage einer Schrift umrissen“, erzählt er 1994 in einem Gespräch mit der NZZ Folio und setzt weiterhin auf diese traditionelle Schriftgestaltung. „Die meisten Schriften entstehen heute auf dem Computer. Dabei wird in der Regel eine alte Schrift eingelesen, dann wird ein wenig daran herumgefeilt, und schwupps ist es eine neue Schrift. Ich kann das nicht. Für mich ist das Erschaffen einer neuen Schrift ganz nah verwandt mit der Bildhauerei. … so brauche ich Bleistift und Papier, um neue Formen zu schaffen.“

So hatte Adrian Frutiger die Roissy, auf der die Frutinger basiert, mit markanten Rundungen und Ausläufen gezeichnet, um sie so charakteristisch wie möglich zu machen und der Signalschrift klare und eindeutige Buchstaben und Zeichen zu geben, ohne die zu einer Druckschrift gehörenden feinen Details. Nun konnte Adrian Frutiger selbst aus Zeitgründen die Originalzeichnungen der einzelnen Buchstaben nicht komplett durchführen, sondern lediglich Skizzen liefern. Deshalb fertigte Hans-Jürg Hunziker die Reinzeichnungen für die Frutiger an. Er wurde später bekannt durch seine Schriftfamilie Siemens Sans für den Siemens-Konzern, inspiriert von der Frutiger.

Da bei einer Druckschrift alle Buchstaben „zusammenspielen“ müssen, wurden die Formen der Roissy für die Zeichnungen der Frutiger nicht einfach durchgepaust, sondern die Linien und Kurven nach deren Vorlage neu gezeichnet und Korrekturen angebracht. Das gab der Frutiger ein offenes, eher kräftiges Schriftbild, sodass sie sowohl in kleinen, als auch in großen Schriftgraden hervorragend lesbar ist. Dies macht die serifenlose Schrift sogar zur gut verwendbaren Zeitungsschrift.

Eine typische Schriftfamilie besteht normalerweise aus vier Mitgliedern, der normalen Version, einer schweren fetten, der kursiven und einer fett-kursiven Version. Die Frutiger wurde von Anfang an auf acht Schnitte geplant, vier in der Geradestehenden und vier in der Geneigten, wobei Letztere übrigens gezeichnet und nicht einfach geschwenkt werden. Ihre Neigung beträgt zwölf Grad. Condensed-Schnitte – also schmale – kamen später hinzu, auch extrafette Schnitte erweiterten in den nachfolgenden Jahren noch die Schriftfamilie.

Erstaunlicherweise war die Frutiger nicht im ersten, von Adobe und Linotype gemeinsam veröffentlichten PostScript-Schriftsortiment enthalten, das 42 Schriften umfasste. Doch es sollte nicht lange dauern, bis die Frutiger in fünf aufrechten und vier geneigten Schnitten als PostScript-Schrift angeboten wurde.

Ähnlichkeiten rein zufällig

Dass die abgewandelte Roissy überhaupt den Namen Frutiger erhielt, war Copyright-Gründen geschuldet. Es war damals gang und gäbe, dass amerikanische Schriftenhersteller im Schriftmusterbuch einer kopierten Schrift dann einfach die Bezeichnung „similiar to [Name der kopierten Schrift]“ eintrugen. Trägt die Schrift aber den Namen des Urhebers, ließ sich die Kopie nicht vor Gericht durchbringen, da der Name einer Person nicht missbraucht werden durfte. Es gibt also keine Schrift „similiar to Frutiger“ – dennoch kursieren genug Kopien.

Eine davon ist die Segoe UI, eine von Microsoft entwickelte Schriftfamilie für Windows Vista und Windows 7. Microsoft hatte die Monotype-Schriftart Segoe um fehlende Zeichen ergänzt und unter anderem zur besseren Bildschirmdarstellung leicht bearbeitet. Linotype warf Microsoft daraufhin vor – und erhielt hierbei Unterstützung von Schriftexperten –, die Linotype-Schrift Frutiger Next abgesehen von kleinen Unterschieden und einer leichten Änderung der Liniendicke ohne Lizenz exakt kopiert zu haben. Ähnlich hatte Microsoft in Windows 3.1 die Arial als kostengünstige Kopie zur Helvetica mitgeliefert. Der daraus resultierende inflationäre Gebrauch der Schrift ließ die Helvetica schnell zur Allerweltsschrift mutieren.

Im Fall der Frutiger erhob Linotype erfolgreich Einspruch, das europäische Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt erklärte den Schutz der Segoe UI für nichtig, und verhinderte, dass Microsoft seine neue Schriftart Segoe als Geschmacksmuster eintragen konnte. Wie Heise online im April 2006 meldete, war das Harmonisierungsamt der Auffassung, dass das Druckbild der Segoe UI mit jenem der Frutiger oder Frutiger Next „völlig identisch“ sei.

Die Nächste, bitte

Doch an der Frutiger wird wohl noch häufiger herumgezeichnet werden, diente der Klassiker doch bereits vielen Schriften als Inspiration. „So betrachte ich es eben als Kompliment, wenn eine meiner Schriften kopiert wird“, äußerte sich Adrian Frutiger bereits 1994 gegenüber NZZ Folio zur Frage des Copyrights.

Die oben erwähnte Frutiger Next entstand allerdings 2001 nach einer Idee von Adrian Frutiger. Wobei Erik Faulhaber die Schrift überarbeitete und sich vor allem der Lesbarkeit, des Zeilenfalls und des Satzbildes annahm. Beinhaltete die Frutiger in ihrer Originalversion immer noch Beschränkungen durch das traditionelle Setzverfahren, um unter anderem die Lesbarkeit der Schrift zu garantieren, so können für den digitalen Schriftsatz Vor- und Nachbreite der einzelnen Buchstaben wesentlich feiner sein; bei der Frutiger Next konnte dadurch das Satzbild verfeinert und Zeilenfall und Lesbarkeit verbessert werden. Insgesamt aber wirkt die Frutiger Next ungewohnt schmal, während die Schriften Adrian Frutigers generell eher breit laufen. Kein Wunder, dass er sich nicht durchweg zufrieden zeigt mit dem Ergebnis, wie er im lesenswerten Buch Adrian Frutiger Schriften. Das Gesamtwerk erwähnt.

Gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter von Linotype, Akira Kobayashi, hat Frutiger es dann selbst besser gemacht: Im Jahr 2009 erschien unter der Bezeichnung Neue Frutiger eine Überarbeitung des Originalentwurfs, die wesentlich näher an der originalen Frutiger war als die Frutiger Next und aus zehn verschiedenen Strichstärken und den dazu gehörigen Italic-Schnitten besteht.

„Aber meine Lieblingsschrift bleibt ehrlich gesagt die originale Frutiger“, sagt der Schriftentwerfer. „Wahrscheinlich ist es die Schrift, die in der Mitte der Schriftenlandschaft steht. Es ist wie ein Nagel, der eingeschlagen wird, an dem man alles anbinden kann. Sie entspricht am ehesten meinem inneren Bild. […] Die Frutiger ist wirklich eine Schrift, die schön ist, die singt.“

Eric Schäfer

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