Podcasts

So tickt die deutsche Podcast-Szene

Podcasts: Eine Bestandsaufnahme. Seit zehn Jahren gibt es Podcasts. Doch genießt das Audioformat nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie Videos oder Blogs – zumindest hierzulande. Hinzu kommt der Vorwurf, dass der deutsche Podcast in der Nische feststeckt und sich nicht weiterentwickelt. Dabei beweist ein genauerer Blick in die Szene und ihre Hintergründe das Gegenteil. Eine Bestandsaufnahme nach einem Jahrzehnt.

Von   Uhr

Wie so viele technische Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre sind auch Podcasts zuerst in den USA entstanden. Der US-Amerikaner Adam Curry gilt als einer der Urväter des Mediums. Am 13. August 2004 startete der ehemalige MTV-Moderator seine Sendung „Daily Source Code“. Exakt einen Tag vor Curry stellte Software-Entwickler und Miterfinder der RSS-Technologie Dave Winer seinen Podcast – damals noch Audioblogging genannt – „Morning Coffee Notes“ ins Netz und bot per RSS ein Abo der Sendung an.

Eine große Berichterstattung mit entsprechender Cover-Gestaltung und der Titeltextung „The End of Radio (as we know it)“ in der US-amerikanischen „Wired“ im März 2005 sorgte schließlich für die nötige Aufmerksamkeit. Der native Support von Podcasts durch iTunes in der Version 4.9 ab Juni desselben Jahres machte Podcasts dann für ein größeres Publikum zugänglich.

„Am ersten Tag 70 Hörer!“

„Audio-Dateien ins Netz zu stellen ist ja jetzt erstmal gar nicht so revolutionär – das geht im Grunde, seit dem es das Netz gibt. Oftmals sind es aber kleine Veränderungen an den Rahmenbedingungen, die einen großen Impact auf das große Ganze haben“, so Philip Banse, deutscher Podcaster der ersten Stunde. Im Grunde sei die Gesprächssituation bei Podcasts ähnlich wie bei Radiosendungen – aber die Vorteile wie die nicht vorhandenen zeitlichen, redaktionellen und thematischen Beschränkungen, die Möglichkeit der direkten Kommunikation mit den Hörern und die Abo-Funktionalität der RSS-Technologie sorgten für den Durchbruch.

2005 starteten die ersten deutschen Podcaster durch. Banse etwa mit seiner Gesprächssendung „Küchenrad.io“, Tim Pritlove mit „Chaosradio Express“, später CRE genannt, und Annik Rubens mit „Schlaflos in München“. Rubens kann sich noch gut an die Anfänge erinnern. „Ich bin damals über Adam Curry und seinen Podcast auf das neue Medium gestoßen und war von Anfang an fasziniert von der Möglichkeit, ohne Übertragungswagen vor der Tür in die ganze Welt hinaus senden zu können“, erzählt Rubens. Kurz nachdem sie ihre erste Sendung online gestellt hatte, luden 70 Hörer die Folge herunter. So richtig steil angestiegen sind die Hörerzahlen dann, als im Juni das aus Podcaster-Sicht fast schon legendäre iTunes-Update kam.

Apple und der Schmerz mit iTunes

Apple ist für das Podcast-Medium aber nicht nur ein Segen. Das findet auch Podcast-Profi Pritlove. Zwar sei es super, wenn Apple sich für eine Technologie stark macht, weil das meist einen entsprechenden Impact mit sich bringt. Andererseits führe das auch zu einer Abhängigkeit und man müsse sich dann mit den Unzulänglichkeiten herumschlagen. „Kompliziert ist es vor allem dann, wenn Apple das Interesse an einer Technologie verliert. Das merken wir auch gerade wieder bei Podlove“, so Pritlove.

Podlove ist ein von Pritlove initiiertes Software-Projekt, das die Distribution von Podcasts verbessern will. Als WordPress-Plug-in entwickelt, bietet Podlove eine ausgereifte Publisher-Funktion sowie einen Audio-Player. Bei der Entwicklung stößt das Team allerdings immer wieder auf Schwierigkeiten – meist, wenn es um Apple und iTunes geht, beispielsweise beim eigens entwickelten Subscribe-Button. Dieser erlaubt es, Podcasts direkt per One-Click zu abonnieren und in seinem Podcast-Client der Wahl aufzunehmen – ohne Umweg über iTunes, Suche oder manuellem Linkkopieren. Eine enorme Vereinfachung, neue Abonnements abzuschließen – wenn die Ranking-Logik von iTunes nicht wäre. Vor allem die US-amerikanischen Podcaster, so Pritlove, fürchten um ihre Spitzenpositionen, weil der Subscribe-Button Neu-Abonnements dann quasi an iTunes vorbeischleust und sie nicht in die iTunes-Statistik des abonnierten Podcasts einfließen. Neuabos sind aber ein bestimmendes Merkmal fürs iTunes-Ranking. Und wer gut rankt, ist besser sichtbar – das ist nicht anders als bei Google.

Eine Art Youtube für Podcaster

Trotz Projekten wie Podlove ist es nicht gerade einfach, einen Podcast im Netz zu veröffentlichen und zu verteilen: CMS aufsetzen, Plugins installieren, die Podcast-Einstellungen richtig konfigurieren, das Hosting klären, iTunes und andere Plattformen bedienen – wer da nicht technik-affin ist, hat es schwer. Das glaubt auch der Journalist Stephan Dörner und arbeitet gerade gemeinsam mit einem befreundeten Webentwickler an einer Lösung. Mit seinem Ende diesen Jahres in die Beta-Phase startenden Dienst Castrami will er eine einfache Plattform-Lösung bieten, auf der Podcaster ohne große technische Voraussetzungen ihre Sendungen veröffentlichen können. Wenn man so will, eine Art „YouTube für Podcasts“, denn selbst das Hosting der Audiodateien ist inbegriffen.

„Es gibt viele Menschen, die über ein spannendes Nischen-Thema podcasten wollen, aber keine Ahnung von der Technik haben – beispielsweise Motorradfahrer oder Hobbyangler. Solchen Podcastern wollen wir es ermöglichen, sich voll auf die inhaltliche Arbeit zu konzentrieren, die Technik übernehmen wir.“ Der Dienst soll zunächst komplett kostenlos starten, später ist ein Gebührenmodell denkbar. Auch Tarife für Unternehmen soll es geben.

„Neue Ideen fürs klingende Netz“

Während technisch also einiges in Bewegung ist, sieht sich die deutsche Podcast-Szene in den vergangenen Monaten vor allem inhaltlicher Kritik ausgesetzt – etwa, dass es zu viele männerdominierte Laberpodcasts gebe, also stundenlange Gesprächsformate. Dass es an der Formatvielfalt mangele, der deutsche Podcast zu sehr in der Nische feststecke.

„Der Zeitpunkt wäre gekommen, dass sich Audiomacher auch hierzulande neuen, formal und inhaltlich innovativen Ideen für das klingende Netz zuwenden. Stattdessen werden Mikros eingeschaltet, Getränkeflaschen geöffnet und drauflosgeredet. Manchmal mit mehr, oft aber auch weniger inspirierenden Inhalten. Die gestalterischen Möglichkeiten des auditiven Mediums bleiben leider größtenteils unbeachtet“, schreibt Radio-Macher und Podcaster Nicolas Semak auf Wired.de.

Wie solche neuen Formate aussehen könnten, verrät mal wieder ein Blick in die USA. Dort ist im Oktober des vergangenen Jahres „Serial“ – ein Podcast-Spinoff der berühmten Radiosendung „This American Life“ – an den Start gegangen und begeistert Zuhörer und Medien gleichermaßen. In Serial beschäftigt sich die Journalistin Sarah Koenig mit einem alten Mordfall aus dem Jahre 1999. Es geht um die Ermordung einer 18-jährigen Highschool-Schülerin. Ihr Ex- Freund wurde damals schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilte beteuerte allerdings seine Unschuld. Koenig rollt in den zwölf Episoden den Fall unter Zuhilfenahme aktueller Beweise neu auf. Die einzelnen Episoden sind sehr hochwertig und mit viel Aufwand produziert.

Tim Pritlove in seinem Berliner Studio „Metaebene“. Wenn er gerade nicht Podcasts aufnimmt, treibt er das mittlerweile von vielen Podcastern eingesetzte Podlove voran.
Tim Pritlove in seinem Berliner Studio „Metaebene“. Wenn er gerade nicht Podcasts aufnimmt, treibt er das mittlerweile von vielen Podcastern eingesetzte Podlove voran. (Bild: Tim Pritlove)

Die deutsche Nische

Serial gilt als einer der erfolgreichsten Podcasts aller Zeiten. Einen Monat nach Erscheinen konnte das Format bereits fünf Millionen Downloads verzeichnen – das war in der Geschwindigkeit bisher keinem Podcast bei iTunes gelungen. Bis Ende des vergangenen Jahres waren es 40 Millionen. Von solchen Zahlen können deutsche Podcaster nur träumen – in der Regel liegen die Zuhörer-Zahlen von deutschen Formaten im fünfstelligen Bereich, etwa „Küchenstud.io“ (15.000), „Geek-Week“ (13.000), „Freak Show“ (45.000), „Schlaflos in München“ (15.000) oder „Spieleveteranen“ (25.000).

Befinden sich Podcasts in Deutschland also doch zu sehr in der Nische? „Ich finde Nische eigentlich super – weil es eben für jeden eine Nische gibt, sowohl für die Macher, als auch für die Hörer. Wer will schon die Bibel auf klingonisch hören? Selbst das gab es bereits, oder einen Podcast, der Stille aus verschiedenen Teilen der Erde sendete“, sagt Annik Rubens. Was allerdings tatsächlich ein wenig fehle, sei die Formatvielfalt. Aber das hänge auch mit der Finanzierung aufwändigerer Formate zusammen. „Wer zahlt denn meine Miete, wenn ich für eine spannende Reportage eine Woche recherchieren muss, wer zahlt die Zugtickets, meinen Lohn?“, fragt Rubens. Sie wünscht sich mehr Selbstbewusstsein von Podcastern, was Werbung angeht. Vor allem dann, wenn Produkte beworben werden, die zur Hörerschaft passen. Und wenn auf diese Weise Geld zusammenkommt, könnten in Zukunft auch aufwändigere Formate realisiert werden.

Für den Einstieg bedarf es keines professionellen Equipments. Mit der Zeit wächst jedoch das Verlangen genau danach. Der Unterschied ist hörbar.
Für den Einstieg bedarf es keines professionellen Equipments. Mit der Zeit wächst jedoch das Verlangen genau danach. Der Unterschied ist hörbar. (Bild: iStock/Slaphead)