Porträt: Chicane

…und dunkle Andeutungen

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Der vielleicht bedeutungsvollste Moment überhaupt liegt indes bereits einige Jahre zurück und ereignet sich, als Bracegirdle als kleiner Junge einen Plattenladen betritt und zielgenau Jean-Michel Jarre’s „Oxygene“ aus dem Regal zieht. Hier findet er alles, was er sich von Musik immer erhofft und erträumt hatte: zarte Rhythmen und tiefe Soundscapes, eine beinahe beklemmende Intimität, dunkle Andeutungen sowie ein Gefühl großer Weite und Räumlichkeit, das mit Worten nicht zu fassen ist. Chicane-Interviews sind alles andere als leichte Angelegenheiten, wenn es darum geht, zur Essenz vorzudringen. Denn diese erschließt sich Bracegirdle selbst nach anderthalb Dekaden des Erfolgs und der kontinuierlichen Verfeinerung seines Stils immer noch rein intuitiv. Lieber kommuniziert er mit Tönen, lässt die Sounds für ihn und für sich sprechen – und wer genau hinhört, wird sofort erkennen, wie wichtig ihm der Tribut an den französischen „Napoleon der Elektronik“ auf „Giants“ ist. Bereits der Name des Albums ist eine respektvolle Verbeugung vor dessen Leistungen, der Titeltrack eine Art visionäre Vorstellung davon, wie Jarre wohl im einundzwanzigsten Jahrhundert klingen würde, wenn sich die Linie seine Karriere direkt von „Oxygene“ in die Gegenwart extrapolieren ließe: Aus ominösen Synth-Flächen schält sich eine majestätische, melodische Idee, ein analog-architektonisches Gebilde von kühler Eleganz und großer Sehnsucht, unter dem – gleichsam als geerdeter Gegenpol – eine linear nach vorne drängende Four-to-the-Floor-Bassdrum pocht.

Die Parallelen zu Jarre reichen aber noch weiter. Denn wie kaum einem anderen Dance-Produzenten heute geht es Bracegirdle nicht darum, unzusammenhängende Tracks in jährlichen Abständen zu marktgerechten Paketen zusammenzuschnüren. Vielmehr schwebt ihm eine klassische Utopie des Albums als sinnstiftende Einheit vor, als fantasievolle musikalische Reise, die nicht nur mehr ist als die Summe ihrer Teile, sondern deren Horizont perspektivisch übersteigt und ihnen eine neue, kollektive Bedeutung verleiht. „Die Übersicht eines Albums trage ich schon sehr früh in meinem Kopf mit mir herum“, bestätigt er, „Ich erstelle dabei „Mood Boards“, was bedeutet, dass ich mehrere Tracks zusammenfüge, um für ein bestimmtes Stück das Gefühl zu erzielen, das mir vorschwebt. Ich trage also Referenzen für die Gestalt des Werks zusammen, bevor ich mit der eigentlichen Arbeit beginne. Natürlich ändert sich in der Praxis dann noch eine ganze Menge, sodass es also im Endeffekt die genaue Anordnung der Stücke eine gewisse Jonglierkunst erfordert!“

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