Clubreport: Tresor, Berlin

Ort und Raum

Letztere ist für ihn seit jeher entscheidend gewesen. Community-Building in allen Ehren, doch für Hegemann kann ein Club nicht nur ein Konzept sein, das sich beliebig vermarkten und auf andere Locations übertragen lässt. Stattdessen ist ein Club immer und inhärent mit einem ganz bestimmten Ort verbunden: „Dass Leute von ganz weit herreisen, um diesen Laden zu besuchen, zeigt, dass es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um den Ort. Ich erinnere da an den schönen Begriff der ‚physikalischen Qualität‘ eines Raumes, der von dem Architekten David Chipperfield geprägt wurde. Es gibt einfach Lokalitäten, da gehst du rein und sagst: ‚Wow!‘ Und dann gibt es wiederum andere, mit denen kannst du nichts anfangen. Und da sehe ich auch meinen Auftrag: Ich bin ein Raumforscher.“ Dass seine Vorstellung durchaus keine Selbstverständlichkeit ist, entdeckt er aktuell bei den Verhandlungen über die Eröffnung eines Tresor-Ablegers in Beijing: „Wir sind dort teilweise in Karaokebars gelandet. Die jungen chinesischen DJs und elektronischen Komponisten wundern sich gelegentlich, warum bei ihnen keine Stimmung aufkommt. Doch das hat genau mit dieser Raumbeschaffenheit zu tun.“ Es ist das Zusammenspiel zwischen der Intensität eines prall gefüllten Clubs, einer euphorisierend-rhythmischen Musik und einem fast schon mythischen Raum, das das Erfolgsgeheimnis ausmacht: „Ein guter Club befriedigt eine Sehnsucht, durch eine Tür zu gehen und in eine Parallelwelt einzutauchen“, so Hegemann.

Dass ihm das mit dem Tresor gelungen ist, steht außer Frage. Ein „Mekka“ der Technomusik wollte er errichten, und in gewisser Weise ist der Club tatsächlich ebenso eine touristische Attraktion geworden wie das Brandenburger Tor. Jahrelang war damit auch das hauseigene Label verbunden, auf dem Pioniere wie Jeff Mills Genre-prägende Alben veröffentlichten, darunter Klassiker wie „Waveform Transmission“ oder das mit einem philharmonischen Orchester aufgenommene „Blue Potential“. Nach über zweihundert Veröffentlichungen ist der Rhythmus der Plattenfirma allerdings zuletzt ein wenig ins Stocken geraten: „Es war einfach kein Business mehr da“, so Hegemann, „wir haben in den vergangenen Jahren zwei fette Insolvenzen unserer Vertriebe erlebt: Zuerst haben wir mit der EFA 65.000 Euro verloren und danach ist auch Neuton untergegangen.“ Jetzt hat Hegemann eine neue Strategie entwickelt, bei dem der Club das Label finanziert: Streng limitierte farbige Vinyleditionen sollen den Sammlergeist der Tresor-Fans wecken. Und aus dem riesigen Angebot an Beatport-Tracks wird Hegemann das Beste herauspicken und als Sampler veröffentlichen. Alle Mitglieder der fast 100.000 Benutzer starken Tresor-Community sollen sich diese Alben kostenlos herunterladen dürfen, die Künstler bekommen statt einer Gage ihre Alben gepresst und einen Auftritt im Laden. Die berühmte Marke fungiert dabei als Qualitätsfilter, durch den nur das Beste passieren darf.

Inzwischen sind wir zu Hegemann nach Hause gefahren und die Treppe zur Wohnung hinaufgestiegen. Schon bei Betreten fällt unmittelbar auf, dass er seine Vorstellungen in Bezug auf Raumarchitektur hier genauso auslebt wie im Beruf: Sein Arbeitszimmer hat eine atemberaubend hohe Decke, die von nackten, untapezierten Wänden getragen wird, aus denen an manchen Stellen frech der Putz hervorlugt. Außer einer Couch steht hier nicht viel, doch die meterhohen Regale sind gefüllt mit Büchern, Katalogen, HiFi-Geräten, CDs und einer prominent zur Schau gestellten Frank-Sinatra-Platte. Während Hegemann seine E-Mails abruft, lausche ich der für Mai geplanten neuen Label-Veröffentlichung, einer 4-Track-EP der Future Beat Alliance aus London, die mit ihren elegant pulsierenden Beats und dichten Flächen eher Bezug auf klassischen Trance und melodiösen Goa als den berühmten Tresor-Sound nimmt. Die Musik ist dicht, episch und dennoch ungemein konzentriert, ebenso funktional wie fantasievoll. Das hohe Maß an Musikalität, das hier durchscheint, ist sicherlich auch repräsentativ für das weite musikalische Interesse des Clubgründers, der zunächst in Münster Klassik studierte, dann für die Lesungen des ersten deutschen Punk-Professors nach Berlin zog und heute nach eigenem Bekunden vor allem Dub und Dub-House hört.

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